–  Das Dorf –

 

   

 "Zwischen den Welten wächst Gras"

 

Gedichte aus Deutschland 

Lyrik von vor Vierzig Jahren

... 1981 ...

 

Für das Netz überarbeitete und korrigierte  Fassung

 

Teil 2

                           

  Ein Stimmungsbild

 

     – Das Wesen der Menschen ist Erinnerung –

 

         

 

Die Krähen erzählen

 

Bald wird das Licht heller strahlen als tausendmal

die Sonne hell ist. Wer sie sieht wird danach

nur noch in Finsternis leben.

 

Es wird so heiß sein, daß die Felder flüssig sind

und wer darauf stehen will muß verbrennen.

 

Morgen, wenn das Licht tausendmal heller scheint,

werden die Krähen große Vögel sein.

 

Ihre Federn werden fest werden gegen das Licht

Und ihre Sprache wird endlos werden.

 

Die schlafenden Bäume werden zu wandern beginnen,

und sie werden versuchen zu töten.

 

Wir träumen von den Tagen, da es noch dunkel war

und noch keiner wußte warum

die Ehre aus Deutschlands Treue verschwand.

 

Wir sind die Menschen die träumen.

Im Winter sind wir im reichen Land.

Im Sommer sind wir im schönen Land.

 

                                  

 

Am klaren Wasser steht ein alter Weidenbaum.

Er sieht die Gedanken im Wasser vorüberziehen.

 

Er betrachtet den Himmel hinauf bis in die kalte Nacht.

Eines Tages kam ein junger Mensch.

 

Er setzte sich still unter die Zweige.

Der Menschenblick fiel auf die Bilder im

Wasser und folgte hinauf bis in die oberste Krone des Weidenbaumes.

 

Der Weidenbaum begann die Menschenblicke ganz

leise zu verstehen. Er verhielt sich so still, der Baum,

bis er den Wind zur Ruhe gemahnte.

 

Die große Stille öffnete das Herz des

Menschenkindes, und es begann sein Wesen dem

Baum zu zeigen.

 

Der alte Weidenbaum war freundlich und half dem

Wasser so zu fließen, wie das Menschenkind sein

Wesen zeigte.

 

Später kam das Menschenkind noch oft,

aber so freundlich der Weidenbaum auch war,

das Menschenkind konnte ihn nicht mehr verstehen.

 

Nicht verstehen, die Bäume im Fluge zu erreichen

und Geschichten in den Stämmen suchen,

wie die anderen Wesen es können.

 

                        

 

Der Wind hat Eis in seinem kalten Atem.

Die Spatzen drängen sich in die Zweige.

Sie wissen, daß die roten Beeren vom

Eiswind ihre Stärke haben.

 

Die Pappeln beginnen zu klappern, schlagen ihre

Äste gegen den Stamm, sie plappern mit drehenden

Blättern im Sonnenlicht.

 

Im Norden des Landes hat es begonnen zu schneien.

Rote Bäume stehen in grünen Wiesen, recken die

Zweige zum Himmel.

 

Der Lärchenmann hat sein goldenes Gewand angezogen

und er zerwedelt das Licht über die Felder.

 

Er bringt Blätter und Gräser zum glänzen und zeigt

dem Winter mit stummen Fingern den Weg ins Land.

 

Braune Blätter hängen vertrocknet an Zweigen,

fallen auf Wiesenhütten, auf Hausdächer und werden von

den Straßen gefegt.

 

In hundert Jahren werden die Blätter auf geborstene

Steine fallen, erzählt der Lärchenmann dem Wind.

 

Alles wird sich wundern über das Geschwür, das

dieses Land zerfurcht und einstmals unbrauchbar gemacht hat

für wandernde Herden und fliegende Träume.

 

Das Wesen, das heute die Welt vernichtet, wird

dann kraftlos sein.

Nur wenige noch werden den Himmel verstehen.

 

Verstehen, die Winde vom Reiten des Sturm her zu sehen.

 

Verstehen die wachsende Art verwurzelter Gedanken im eigenen Land.

 

Fünf Rehe stehen im Klee. Äsen und hören dem Lärchenmann zu.

Sie werden es weitererzählen.

 

Bald kommt der weiße Traum über die laut brüllenden

Maschinen auf totem Beton.

Beton bedeckt gnadenlos die heiligen Plätze mit

Hunger und Tot.

 

   

     

 

                                 

 

  Am grauen Himmel ziehen Wolken

 

In der Ferne, auf den Feldern, bewegen sich große

Dinge

und mit viel Getöse reißen sie die Erde auf.

 

Gutes Futter für Krähen denkt der Treckerfahrer,

nimmt einen Schluck Klaren und flucht auf den Regen.

 

Die schwere Erde hat den Unterlenker abgebrochen,

 er muß die verklumpten Zinken noch saubermachen.

 

Auf der Straße liegt feuchter Dreck und auf dem

Acker die gerodeten Rüben.

Mitten im Wasser sollen sie aufgeladen werden.

 

Der Treckerfahrer zieht seine Furchen weiter

Unter dem grauen Himmel. Ein kalter Wind bläst aus

Nordwest.

 

Im Dorf klettert der Schornsteinfeger fröstelnd vom

Dach, setzt sich mit dem Zylinder in sein Auto.

 

Der Lehrling stellt eine Stange Wasser an die alte

Hofmauer. Schuttabladen verboten, steht auf dem

Schild.

 

Zehn Uhr ist es, Frühstückspause.

Der Schornsteinfeger sortiert seine Rechnungen.

 

Die Kinder haben das Dorf verlassen.

Die kahlen Äste saugen etwas Duft der Menschen aus der

Luft und warten.

 

Am Waldrand sitzt der Jäger. Er erschießt den Fuchs.

Die Sieger haben uns besiegt, von der Maas bis an die

Memel. Danach haben die Krähen unseren Toten die Augen

ausgehackt.

 

Heute sind Deutschlands Kinder erstmals wirklich reich.

 

Sind auch Touristen im eigenen Land.

 

Drüben, im anderen Teil, wenn sie nach

Berlin fahren, auch dort strahlt der Mond über dem getrennten Land.

 

Frieden den Hütten, die Häuser sind zerbombt und

neu hat man die festen Bunker wieder erbaut.

 

Warum sollen die Krähen nicht heiser lachen, wenn

Schnee fällt und Deutschlands Traum zerrissen ist.

 

Die Sieger haben gewonnen und das deutsche

Gewissen schläft weiter ruhig.

Reaktoren stehen am Rhein.

Der Turmbau zu Babel wird fortgesetzt.

 

                      

 

 Träume in den Tag gewebt  

 

In der Ferne wird jetzt Natomunition verschossen.

Wolken bilden dunkle Hügel am Himmel. Das

Licht wird grau.

 

Der Wind treibt feuchte Blätter den Rinnstein entlang.

Mit festem Schritt schiebt eine junge Mutter den

Kinderwagen unter den Bäumen entlang.

 

Der Rock weht um die Ecke und drinnen beim

Bäcker wird Neues vom Tage getauscht.

 

Über den warmen, süßgezuckerten Kuchen hinweg,

vorbei an den Milchtüten, ziehen die Worte.

 

Die Bildzeitung ist aufgeschlagen, das Greuel des

Tages verkündend.

Kleine Kinder haben sich in die Ecken gedrängt,

hören staunend zu.

 

Draußen weht der Wind ins Gesicht. Leichte

Feuchtigkeit rieselt vom wolkenverhangenen Himmel.

 

Vom Friedhof, vorbei an kahlen Bäumen, kommen zwei

Frauen. Sie sehen das aufziehende Gewitter.

 

Die Frauen haben das Dorf besetzt, mit ihrer

Wärme und dicker Suppe aus frommer Gemütlichkeit.

 

Draußen vor den Häusern zerfetzt der Wind die

Kronen der Bäume.

Ein großer Hase flitzt blitzschnell aufs offene

Feld.

 

Plötzlich prallen dicke Tropfen auf die graue Erde.

Lose Blätter werden vom Baum geschlagen.

 

Der Hase wartet als warmer Stein im tosenden

Wetter.

Wotan schleudert wieder seine Blicke auf das

Zerbrochene - Land.

 

Manchmal wirbelt der Sturm ein Dachfenster

zersplitternd gegen die Schindeln.

Der liebe Gott hilft nicht dagegen.

 

So schnell wie das Wetter gekommen ist, verliert

es das Dorf aus seinem vorübereilendem Blick.

Klares Sonnenlicht fließt in die Straßen.

 

Die Menschen treten wieder auf die Gehwege,

werden von Schaufenstern ins Vielfache geteilt.

 

Frohen Herzens trachten die Menschen an ihr

Ziel zu kommen. Pitschnass werden sie, denn

plötzlich hat es wieder zu regnen begonnen.

 

Sehr heftig mitten im Sonnenschein.

Der Treckerfahrer reißt weiter die Erde auf,

Zieht Regenwürmer in Regen und Sonnenlicht.

 

Die Krähen sind sitzengeblieben, der Hase ist

zurück ins Unterholz, Äste sind abgebrochen

und liegen still.

 

                          

 

 Der Schulbus bringt die langsam zerbrechenden

Kinder zurück ins Dorf. Sie rennen, rufen sich Namen zu.

 

Über die feuchte Straße biegt rumpelnd der

Trecker ein ins Dorf, fährt auf den Hof. Die

Kinder eilen nach Haus.

 

Mittagessen bei Muttern in warmer Gemütlichkeit.

Sie stellt einen dampfenden Teller mit Fleisch und

Kartoffeln auf den Tisch.

 

Die Stiefel des Mannes sind naß und dreckig vom Feld.

Er hat sie vor den Spiegel in die Diele gestellt.

 

Der Sohn sieht aus wie der Vater, hemdsärmelig mit

Hosenträgern. Das Essen wird vom Teller genommen.

 

Der Vater stützt die Arme beim Essen auf, der

Junge hat gelernt manierlich zu essen und nicht

zu schwatzen.

 

Er redet nur wenn er gefragt wird. Die Frau dreht

sich im Zimmer, sucht nach Unordnung, reicht das Bier.

 

Ihren Sohn zum Essen drängend, gibt sie ihm noch den

Rest aus dem Topf. Der Vater hat es eilig.

 

Er wirft der schnurrenden Katze Fleisch unter den Tisch

und drängt hinaus aus dem warmen Raum.

 

Der Sohn beginnt die Katze mit Fleisch zu sich zu

locken. Er wartet auf die Fragen nach Schule und Hausaufgaben.

 

„Vater hat gesagt ich soll heute noch Torf vom

Garten holen, bevor es wieder regnet.“

Schnell auf das Mofa, hinaus aus dem Hof.

 

Der Junge fährt vorbei an Müttern die auf der

Straße patrollieren, den Kinderwagen und kleine

Kinder an der Hand.

 

Sie grüßen eilig, schauen ihm nach und tuscheln

über den Mofadiebstahl.

Die Polizei hat ein Mofa gefunden.

 

 

         

 

                                    

               

Spätes Sonnenlicht im Herbstwind  

 

Die Krähen sind vom Feld aufgestiegen, fliegen

allein in der Luft, schaukeln im Wind und sind

voller Lust.

 

Am Himmel ziehen Wolken nach Südosten, werfen

flüchtende Schatten auf das Land. Im Süden fällt

silbergrauer Regen, vermischt sich mit Fabrikrauch,

prasselt aufspritzend zur Erde.

Drüben im Osten stehen die Häuser geduckt.

 

Noch nicht mit den neuen Thermopen verglasten Fenstern,

aber mit den Fahnen der Einheitsfront geschmückt.

An der Grenze wird ein sinnlos Betrunkener durchgelassen,

zurück ins Wirtschaftswunderland.

 

Die an der Grenze wundern sich über seinen reichlichen Alkoholgenuß

und wollen doch nichts wissen vom Besuch bei den

Verwandten.

 

Denen geht es gut aber wir haben erst mal wieder genossen,

bewundert zu sein, ein Wirtschaftswunder.

 

Alle unter den Tisch getrunken und dann mußte er in

den Wagen getragen werden mit nassen Hosenbeinen.

 

An der Grenze waren sie froh, daß der Gestank vorüber

war. Betrunken darf er nicht wiederkommen.

 

                             

 

 

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